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Baurechtliche Handlungsempfehlungen bei Lieferengpässen und Personalausfällen

Befreit das Vorliegen einer Pandemie die Vertragspartner von ihren Leistungspflichten?

Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den Auswirkungen der Corona-Pandemie um höhere Gewalt handeln kann, die Leistungshindernisse verursacht. Als von außen kommendes, nicht vorhersehbares und nicht abwendbares Ereignis ist es von keinem der Beteiligten verschuldet. Es besteht die Gefahr, dass Bauleistungen aufgrund von Personalausfällen und behördlichen Quarantänemaßnahmen bei einem Großteil der Beschäftigten, Grenzschließungen und Reisebeschränkungen sowie Unterbrechung der Lieferketten für Baumaterial (vorübergehend) unmöglich werden. Ein pauschaler Hinweis auf die Corona-Pandemie reicht seitens des Unternehmers jedoch nicht aus. Der Unternehmer hat vielmehr darzulegen, dass der Grund für das Leistungshindernis tatsächlich in der Corona-Pandemie liegt. Der ordnungsgemäßen und sorgfältigen Dokumentation des jeweiligen Baustellenablaufs kommt daher aktuell eine gesteigerte Bedeutung zu. Nur bei Vorliegen eines unvermeidlichen Leistungshindernisses entfällt die Leistungspflicht für diesen Zeitraum. Liquiditätsengpässe auf Seiten des Auftraggebers befreien diesen dagegen nicht von seinen Zahlungspflichten. Hier gilt der Grundsatz „Geld hat man zu haben.“ Um Liquiditätsengpässe bei den Bauunternehmen zu vermeiden, haben das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) mit Erlass vom 23.03.2020 und das Bayerische Staatsministerium für Wohnen Bau und Ver-kehr mit Schreiben vom 19.03.2020 ihre Dienststellen und Bauämter sowie auch die kommunalen Auftraggeber dazu angehalten, Rechnungen unverzüglich zu prüfen und schnellstmöglich zu bezahlen. 

Drohen Schadensersatzansprüche oder Vertragsstrafen wegen Überschreitung der Fertigstellungstermine?

Leistungshindernisse bei der Beschaffung von Materialien, Personal und Subunternehmern fallen grundsätzlich in die Risikosphäre des Auftragnehmers. Schadensersatzpflichtig wird er jedoch nur dann, wenn ihn ein Verschulden an dem Leistungshindernis oder der Verzögerung trifft. Dasselbe gilt für Vertragsstrafen. Der Unternehmer ist gehalten, sich um den Erhalt der eigenen Leistungsfähigkeit zu bemühen. Dazu gehört die Ermittlung, ob alternative Bezugsquellen oder vergleich-bare Produkte verfügbar sind oder ob personelle Engpässe anderweitig überbrückt werden können. Ist das – trotz seiner Bemühungen – unmöglich, trifft den Unternehmen kein Verschulden. In jedem Fall ist es unabdingbar, den Auftraggeber im Rahmen der jeweiligen Kooperationspflicht rechtzeitig – schriftlich – über die Bauablaufstörungen und die nachteiligen Auswirkungen auf die Bauzeit zu informieren. Nur so kann dieser entsprechende Dispositionen treffen, um den Schaden auf seiner Seite möglichst gering zu halten.

Was ist zu tun, wenn der Auftraggeber seine Mitwirkungspflichten nicht erbringt?

Fehlende Baugenehmigungen, Pläne und Vorleistungen sind ebenso wie behördliche Betretungsverbote Leistungshindernisse aus der Risikosphäre des Auftraggebers. Voraussetzung für eine Verlängerung der Bauzeit und die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch den Auftragnehmer ist eine schriftliche Behinderungsanzeige an den Auftraggeber, die die hindernden Umstände und ihre Auswirkungen auf die Bauzeit beschreibt. Auch der Auftraggeber kann sich nicht pauschal auf „höhere Gewalt“ berufen, sondern muss zunächst versuchen, Leistungshindernisse aufgrund der Corona-Pandemie zu beseitigen oder abzuschwächen.

Was sollte zur Bauzeit geregelt werden?

Auch wenn die Corona-Pandemie aktuell kein unvorhergesehenes Ereignis mehr ist, sind ihre Auswirkungen auf die Vertragsabwicklung auch bei Neuverträgen nicht absehbar. Auch bei Neuverträgen, können Leistungshindernisse aufgrund „höherer Gewalt“ auftreten. Es ist dennoch empfehlenswert im Hinblick auf die Bauzeit einen möglichst großzügigen Puffer einzuplanen, um mögliche Erkrankungen von Mitarbeitern, Arbeitsverbote, Lieferengpässe etc. abfedern zu können. Darüber hinaus empfiehlt es sich beim Abschluss neuer Verträge mit nicht öffentlichen Auftraggebern einen Vorbehalt bezüglich der Bauzeit, der etwaige Leistungshindernisse aufgrund der Krise berücksichtigt, aufzunehmen. Nachfolgend ein Formulierungsvorschlag:

„Die vereinbarte Bauzeit gilt für einen ungestörten Bauablauf, mit dem unter normalen Gegebenheiten zu rechnen ist. Nach den gegenwärtigen Umständen sind die Auswirkungen der Coronavirus-Ausbreitung im Rahmen einer Pandemie auf Lieferketten und Personaleinsatz nicht einzuschätzen. Schwerwiegende Auswirkungen durch die Erkrankung von Mitarbeitern des Auftragnehmers oder von Subunternehmern mit dem Coronavirus, behördlich angeordnete Arbeits- oder Zutrittsverbote sowie Betriebsschließungen sind möglich und Materiallieferengpässe und -ausfälle wahrscheinlich. Im Falle solcher unvermeidlichen durch die Ausbreitung des Coronavirus bedingten Bauablaufstörungen verlängert sich die im Vertrag vereinbarte Bauzeit entsprechend um die Dauer der Behinderung mit einem angemessenen Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten. Der Auftragnehmer wird alles tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Er verpflichtet sich, dem Auftraggeber die hindernden Umstände und gegebenenfalls ihren Wegfall unverzüglich schriftlich anzeigen.“

Ist es möglich, sich Preisanpassungen vorzubehalten?

Gegenüber Verbrauchern verbietet § 309 Nr. 1 BGB Preiserhöhungen für Leistungen, die innerhalb von vier Monaten nach Vertragsschluss erbracht werden. Bei Preissteigerungen für Baumaterialien wegen unterbrochener Lieferketten ist eine Preisanpassung, die frühestens vier Monate nach Vertragsschluss möglich ist, kaum ein taugliches Mittel zur Kompensation. Der Auftragnehmer kann nur im Rahmen seiner Kalkulation versuchen, die Risiken zu minimieren.

Auch bei Neuverträgen mit gewerblichen (nicht öffentlichen) Auftraggebern ist in Anbetracht einer strengen Rechtsprechung die wirksame Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kaum möglich. Auch hier empfiehlt es sich das Risiko schon möglichst bei Angebotsabgabe „einzupreisen“. Alternativ sind nur individuelle Vereinbarungen denkbar. Auch hier ist die Rechtsprechung sehr streng und neigt dazu, allgemeine Geschäftsbedingungen anzunehmen, wenn die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen geeignet ist. Nachfolgend eine Formulierungshilfe für eine mit dem Auftraggeber möglicher Weise ausgehandelte Klausel:

„Nach den gegenwärtigen Umständen sind die Auswirkungen der Corona-Ausbreitung im Rahmen einer Pandemie auf Lieferketten und Materialpreise nicht einzuschätzen. Nicht auszuschließen sind erhebliche Materialpreissteigerungen. Um ansonsten unvermeidliche, erhebliche Risikozuschläge bereits bei der Angebotserstellung zu vermeiden, die sich im Nachhinein als überhöht erweisen, sind sich die Parteien darüber einig, dass bei Überschreitung der nachfolgend beschriebenen Zumutbarkeitsschwelle ein neuer Preis aufgrund der tatsächlich erforderlichen Kosten (einschließlich Baustellengemeinkosten) mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu vereinbaren ist. Die Zumutbarkeitsschwelle gilt als erreicht, wenn es in dem Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Anlieferung des Materials auf der Baustelle zu Materialpreissteigerungen kommt, die den in der jeweiligen Position genannten Preis für die Leistung, in der das Material enthalten ist, um 20 Prozent übersteigen. Der Auftragnehmer hat anhand der Offenlegung seines bei Angebotsabgabe kalkulierten Preises und des tatsächlich zu zahlenden Preises zu belegen, dass die Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird. Für den umgekehrten Fall, dass Materialpreissenkungen eintreten, kann der Auftraggeber dies unter entsprechender Anwendung der vorgenannten Regelung geltend machen und es ist ein neuer Preis anhand der erforderlichen Kosten (einschließlich Baustellengemeinkosten) mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu vereinbaren.“ 

Sonderfall: Vergabeverfahren

In dem Beitrag „Öffentliche Bauaufträge“ in unserem Service Center Corona-Pandemie finden Sie spezielle Informationen zu Neuverträgen mit öffentlichen Auftraggebern und zu Vergabeverfahren in Zeiten der Corona-Pandemie.

Handlungsempfehlungen für Auftragnehmer:

  1. Dokumentation der Leistungshindernisse und der Bemühungen um Leistungsfähigkeit. Welche Vertragsleistungen sind zu welchem Zeitpunkt, wann und warum unmöglich geworden? Was wurde unternommen um die Leistungshindernisse zu überbrücken?

  2. Einbindung des Auftraggebers:
    Schriftliche Information des Auftraggebers über sich abzeichnende Leistungshindernisse und deren Auswirkungen in Form einer Verlängerung der Bauzeit (auch wenn die konkrete Dauer der Leistungshindernisse nicht absehbar ist). Hier kann auch auf „übliche“ Instrumente wie Behinderungsanzeigen zurückgegriffen werden. Transparenz und Kooperationsbereitschaft sollten signalisiert werden. Wenn möglich frühzeitig Vereinbarung mit dem Auftraggeber treffen und dokumentieren.

  3. Vorsicht bei Neuverträgen! Soweit es nicht um öffentliche Aufträge geht, unbedingt einen Vorbehalt für etwaige Leistungshindernisse aufgrund der Krise aufnehmen!